Schulter ausgekugelt

Freitag, 09.12.2022

Das Schultergelenk verfügt über den größten Bewegungsumfang aller Gelenke unseres Körpers. Als klassisches Kugelgelenk kann es in alle Richtungen gedreht werden. Dazu bewegt sich der Oberarmkopf (Humerus) auf einer sehr kleinen Gelenkpfanne (Glenoid). Das Schultergelenk wird durch die Gelenkkapsel mit verstärkenden Kapselbändern, der Gelenklippe (Labrum), und durch die gelenkübergreifende Muskulatur (Rotatorenmanschette) stabilisiert. Dies erlaubt einerseits den großen Bewegungsumfang, macht das Schultergelenk andererseits aber auch sehr anfällig für eine Auskugelung (Luxation). Der Oberarmkopf springt in den meisten Fällen nach vorne (antero-inferiore Schulterluxation). Das Risiko, im Verlauf eine erneute Auskugelung zu erleiden, ist von diversen Faktoren abhängig und beeinflusst die individuelle Therapieentscheidung.


Welche Strukturen können bei einer Schulterluxation geschädigt werden?

Ist der Oberarmkopf aus der Gelenkpfanne gesprungen, kann es zu einer Abscherung der Gelenklippe von der Gelenkpfanne kommen und folgend zu einem Labrumabriss, meist im unteren vorderen Bereich. Je nach Schädigungsmuster und beteiligten Strukturen wird von einer Bankart-, Perthes-, oder ALPSA-Läsion gesprochen. Als korrespondierende Schädigung am Oberarmkopf kommt es häufig zur einer sogenannten Hill-Sachs-Läsion, einer knöchernen Delle im hinteren seitlichen Bereich. Bei höheren Krafteinwirkungen kann es zusätzlich zu einer knöchernen Abscherung der vorderen Gelenkpfanne oder sogar einer Gelenkpfannenfraktur mit größerem knöchernen Defekt kommen. Patientinnen und Patienten über 40 Jahre zeigen häufiger Verletzungen der Rotatorenmanschette. Unter Umständen kann hier ein knöcherner Ausriss der Rotatorenmanschette im Sinne einer Fraktur des Oberarmknochens entstehen.


Welche Risikofaktoren begünstigen eine erneute Luxation?

Generell besteht bereits nach erstmaliger Luxation ein erhöhtes Rückfallrisiko. Dies kann im Rahmen eines erneuten adäquaten Traumas (z.B. Sturz auf den ausgestreckten Arm), aber auch bei sogenannten Minimaltraumata (z.B. beim Verschränken der Arme hinter dem Kopf oder beim Greifen eines Gegenstandes mit ausgestrecktem Arm) auftreten. Die Wahrscheinlichkeit einer „Reluxation“ ist von verschiedenen Risikofaktoren abhängig. Hier spielen sowohl das Alter, sportliche Aktivitäten (Sportart, Sportniveau), begleitende knöcherne Verletzungen am Oberarm und der Gelenkpfanne wie auch eine ggf. bestehende Überbeweglichkeit (Hypermobilität) eine Rolle. Je jünger eine Patientin oder ein Patient zum Zeitpunkt der Erstluxation ist, umso wahrscheinlicher ist es, im Laufe des Lebens eine weitere Luxationen zu erleiden. Dies ist sicherlich auch durch ein höheres Risikoverhalten und die Ausübung von Risiko- und Kontaktsportarten begründet.


Welche Möglichkeiten der Behandlung gibt es?

Jede Behandlung sollte auf die Wiederherstellung eines stabilen Schultergelenks abzielen, sodass kein erneutes Auskugeln (Rezidivluxationen) auftreten kann. Dazu stehen konservative und operative Therapien zur Verfügung. Gerade ältere Patientinnen und Patienten ohne hohen sportlichen und beruflichen Anspruch an ihr Schultergelenk sprechen gut auf konservative Therapien mit physiotherapeutischer Begleitung an. Wichtig ist in den ersten sechs Wochen nach der Luxation, die Schulter weitestgehend zu entlasten und Bewegungen vor allem in der maximalen Außendrehung des Armes zu vermeiden. Eine Ruhigstellung sollte sich auf maximal zwei Wochen beschränken, um ein „Einsteifen“ der Schulter zu verhindern. Bei der operativen Therapie werden rein weichteilige Eingriffe von knöchernen Eingriffen unterschieden. Eine operative Indikation besteht v.a. bei jüngeren Patientinnen und Patienten mit hohem Anspruch an ihre Schulterfunktion sowie bei Rezidivluxationen.


Welche operativen Verfahren gibt es?

Standardmäßig werden zwei Operationsmethoden durchgeführt. In der klassischen Bankart-OP wird minimalinvasiv (Schlüssellochchirurgie, Arthroskopie) eine Refixation der meist abgerissenen Gelenklippe und ggf. eine Verkleinerung des Kapselvolumens (Kapselshift) durchgeführt. Hierfür werden Knochenanker verwendet, mit welchen das verletzte Labrum wieder am vorderen Teil der Gelenkpfanne befestigt wird.

Ein weiteres Verfahren ist die Operation nach Latarjet in offener Technik. Hierbei handelt es sich um einen extraanatomischen Eingriff (außerhalb der normalen anatomischen Lage), bei dem der Rabenschnabelfortsatz (Proc. coracoideus) von seinem Ursprung am Schulterblatt abgetrennt und am vorderen unteren Anteil der Gelenkpfanne mittels zweier Schrauben wieder befestigt wird. Hierbei wird die sogenannte Triple-Blocking-Methode angewendet (Vergrößerung der knöchernen Gelenkfläche, Sling-Effekt der Conjoint-Tendon und Rekonstruktion der vorderen Kapsel über das Ligamentum coracoacromiale). Auf diese Weise kann eine sehr hohe Schulterstabilität mit einer sehr niedrigen Reluxationsrate, v.a. im Vergleich zur vorher genannten OP-Methode, erreicht werden. Allerdings ist der Eingriff technisch anspruchsvoll und mit einer höheren Komplikationsrate im Vergleich zur Bankart-OP verbunden.

Die Wahl des Operationsverfahrens hängt wiederum von verschiedenen Faktoren wie Alter bei Erstluxation, Anzahl der Rezidivluxationen, Sportart-/und -niveau, knöcherne Begleitverletzungen und berufliche Belastung ab. Um die optimale Therapie zu finden, hilft ein klinisch-wissenschaftlich validiertes Punktesystem (Instabilty Severity Index Score).


Wie sieht die Nachbehandlung nach einer operativen Versorgung aus?

Anfangs erfolgt eine Ruhigstellung in einer Schulterorthese, deren Dauer sich je nach Operationsverfahren unterscheidet. Nach der arthroskopischen Bankart-OP sollte anfangs nur passiv oder mit physiotherapeutischer Unterstützung beübt werden. Der Beginn der Physiotherapie unmittelbar nach der Operation und weiter nach Entlassung aus dem Krankenhaus ist essentiell, um ein gutes funktionelles Ergebnis zu erzielen. Für eine nahtlose physiotherapeutische Behandlung sollte daher am besten bereits vor dem stationären Aufenthalt gesorgt sein. Eine Entlastung, also eine gewichtsfreie Belastung der operierten Schulter, sollte bei beiden Methoden für sechs Wochen erfolgen. Eine Rückkehr zum Sport mit Ausnahme von Überkopf- und Kontaktsportarten kann nach ca. zwölf Wochen erfolgen. Nach ca. 24 Wochen ist auch eine Rückkehr zu entsprechenden Überkopf- und Kontaktsportarten möglich.


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