Hepatitis-Experte Prof. Dr. Christoph Sarrazin im Interview

Dienstag, 28.07.2020

Am 28.07.2020 ist Welt-Hepatitis-Tag. Grund genug über die oftmals unbemerkte Krankheit zu sprechen. Prof. Dr. Sarrazin ist Chefarzt der Medizinischen Klinik II am JoHo und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberhilfe e.V. und beantwortet im Interview die wichtigsten Fragen.

 

Wie äußert sich eine Erkrankung an Hepatitis?

Prof. Dr. Sarrazin: Bei einer Virus-Hepatitis handelt es sich um eine Infektion mit dem Virus der Hepatitis A, B, C, D oder E. Wenn man sich mit einem dieser Viren infiziert hat, treten in ca. 80 Prozent der Fälle keine eindeutigen Symptome auf, die auf eine Lebererkrankung hindeuten. Das können Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Übelkeit oder Fieber sein. Nur 20 Prozent der Hepatitis-Infizierten haben eine Gelbsucht und/oder sehr hohe Leberwerte. Das führt dazu, dass bei vielen Infizierten die Krankheit nicht bemerkt wird.

Wenn man sich infiziert hat, was passiert dann?

Prof. Dr. Sarrazin: Hat man sich Infiziert, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es eine akute Infektion, die der Körper von allein ausheilt. Nach ein paar Wochen oder Monaten ist die Sache erledigt. Die andere Möglichkeit ist, dass die Erkrankung chronisch wird. Das kann bei der Hepatitis B und C passieren. Wenn die Krankheit chronisch wird, hat der Patient ebenfalls unspezifische Symptome – wie Müdigkeit oder Abgeschlagenheit – die nicht unbedingt auf eine Lebererkrankung hinweisen. Deshalb gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer bei der chronischen Hepatitis B und C.

Wie kann man sich mit Hepatis anstecken?

Prof. Dr. Sarrazin: Das Hepatitisvirus ist unterschiedlich übertragbar. Je nachdem, mit welchem Virus wir es zu tun haben.  Mit chronischen Viren wie Hepatitis B und C kann man sich nicht leicht anstecken. Die Viren müssen direkt in den Körper gelangen – zum Beispiel über das Blut. Wenn man sich an einer Nadel sticht oder auch durch Geschlechtsverkehr kann das Virus in den Körper gelangen. Früher wurden die meisten Infektionen durch medizinische Maßnahmen wie Blutinfusionen verursacht, weil man das Virus noch nicht kannte. Hepatitis B ist erst seit den 1970er-Jahren und Hepatitis C erst seit 1989 bekannt. Heute kommt es vor allem im Drogenbereich, durch Tätowierungen und Piercings sowie bei homosexuellem Geschlechtsverkehr zu Infizierungen. Hepatitis A und E werden hingegen durch Essen übertragen. Über kontaminiertes Wasser oder Nahrungsmittel – das können zum Beispiel Schalentiere sein. Aber auch durch Fleisch – wie häufig beim Hepatitis-E-Virus, das insbesondere durch unzureichend gegartes (Wild)Schweinfleisch übertragen wird.

Was ist der Unterschied zwischen Hepatitis B und C?

Prof. Dr. Sarrazin: Hepatitis B und C sind weltweit enorm verbreitet. Wir gehen von über 100 Millionen Infizierten aus. In Deutschland haben wir ca. 200.000 Patienten mit Hepatitis C und ca. 200.000 mit Hepatitis B, die das Virus unerkannter Weise mit sich herumtragen. Zum Vergleich: Es gibt in Deutschland 80.000 bis 90.000 Menschen mit einer HIV-Infektion.

Welche Form ist gefährlicher?

Prof. Dr. Sarrazin: Hepatitis A und E heilen praktisch immer vollständig aus. Diese Formen verlaufen nur in seltenen Fällen so schwer, dass es zu einem Leberversagen kommt. Bei Hepatitis B und C ist ein akutes Leberversagen und eine anschließende Lebertransplantation ebenfalls sehr selten. Durch die chronische Infektion kommt es allerdings häufig zu einer Leberzirrhose. Je nach Aktivität der Erkrankung rechnen wir mit durchschnittlich 20 Jahren, bis die Leber komplett zerstört ist. Eine solche Zerstörung kann zu einigen Problemen führen - wie Wasser im Bauch, Krampfadern in der Speiseröhre oder eine Verschlechterung der Hirnfunktion.

Über eine Million Menschen sterben weltweit an der Krankheit. Wieso ist die Mortalität so hoch?

Prof. Dr. Sarrazin: Weil die Patienten kaum oder nur unspezifische Symptome haben, gehen sie erst zum Arzt, wenn sich Probleme oder Schmerzen entwickeln. Zum Beispiel, wenn sie Blut spucken. Dann hat man allerdings schon eine Leberzirrhose mit den entsprechenden Komplikationen. Gerade in den weniger entwickelten Ländern, wo das Gesundheitssystem nicht sehr leistungsfähig ist, wird die Krankheit erst sehr spät diagnostiziert. Außerdem braucht man entsprechende Hochleistungsmedizin, die häufig nicht zur Verfügung steht. Allerdings ist auch in Deutschland die Prognose schlecht, wenn man eine Leberzirrhose samt den Komplikationen hat. Ähnlich wie bei einer Krebserkrankung.

Gegen Hepatitis B gibt es einen Impfstoff, der Risikogruppen empfohlen wird. Wieso nicht jedem?

Prof. Dr. Sarrazin: Die Hepatis-B-Impfung wird in Deutschland seit 1995 für alle Neugeborenen empfohlen. Die Impf-Rate bei Schulkindern liegt bei ca. 90 Prozent. Die Impfung gegen Hepatitis B hält relative lange an, wodurch wir eine Kohorte von Geimpften aufbauen können. Die älteren Menschen sind nicht alle geimpft, da es den Impfstoff erst seit den 80er-Jahren gibt und zunächst nur Menschen mit entsprechenden Risiken geimpft wurden.

Sollte man als Erwachsener die Impfung nachholen?

Prof. Dr. Sarrazin: Das kommt darauf an. Das Hepatitis-B-Virus überträgt sich am häufigsten durch ungeschützten Geschlechtsverkehr. Ältere Menschen haben tendenziell seltener ungeschützten Sex als Jugendliche. Deshalb ist es gut, alle Neugeborenen zu impfen. Wenn die Kinder in ihre „wilden Jahre“ kommen, ist der Impfschutz noch vorhanden. Ist man 30 oder 40 Jahre alt, nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung drastisch ab. Insofern ist es nicht unbedingt notwendig, die Gesamtbevölkerung durchzuimpfen.

Gibt es Länder, in denen die Krankheit weiterverbreitet ist als andere?

Prof. Dr. Sarrazin: Im Vergleich zu anderen Ländern, hat Deutschland deutlich weniger Hepatitis-Fälle. In Osteuropa und Asien zum Beispiel ist Hepatitis B viel weiterverbreitet.

Warum wird die Krankheit so wenig in der Öffentlichkeit besprochen?

Prof. Dr. Sarrazin: Das ist mir ein Rätsel. HIV hat sich beispielsweise in das Gedächtnis der Bevölkerung eingeprägt, wie keine andere Erkrankung. Aber Hepatitis, eine Krankheit die ähnlich übertragen wird und häufiger vorkommt, kennt fast keiner. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist der Krankheitsverlauf bei Hepatitis langsamer. Man verliert nicht wie bei Aids innerhalb weniger Jahre seine Immunität und wird schwer krank. Das Virus braucht Jahrzehnte und der Betroffene stirbt langsam daran. Der zweite Grund: Die Bevölkerung muss umfassender darüber informiert werden.

Welche Therapien gibt es?

Prof. Dr. Sarrazin: Bei der Hepatitis A und E gibt es keine Therapien, weil man auch keine braucht. Schließlich heilen beide Formen praktisch immer allein aus. Wenn es in den ganz seltenen Fällen zum Leberversagen kommt, gibt es die Lebertransplantation. Die Hepatitis E kann in ganz seltenen Fällen, wenn das Immunsystem nicht richtig funktioniert, chronisch werden. Dann gibt es eine Therapie dafür. Für Hepatitis B und C gibt es hervorragende Therapien. Bei Hepatitis B läuft die Therapie darauf hinaus, dass man die Vermehrung des Virus hemmt – ähnlich wie bei Aids. Dafür muss der Patient Tabletten einnehmen, die er nicht mehr absetzen darf. Das Virus kann dadurch nichts mehr anstellen, die Leber erholt sich und man bekommt keine Zirrhose. Bei Hepatitis C ist das Virus nicht in der Lage, im Körper ohne ständige Vermehrung zu überleben. Um es loszuwerden, müssen Patienten für acht oder zwölf Wochen Medikamente, die die Virusvermehrung hemmen, einnehmen. Das Virus wird eliminiert und kann keinen Schaden mehr anrichten.

Kann man mit der Krankheit ein normales Leben führen?

Prof. Dr. Sarrazin: Ja, kann man. Wenn man bei Hepatitis B und C rechtzeitig die Medikamente einnimmt, kann man ein normales Leben führen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Prof. Dr. Sarrazin: Wir kämpfen dafür, dass ein allgemeines Screening eingeführt wird. Es wird aktuell vorgeschlagen, dass einmal im Leben bei der Gesundheitsvorsorgeuntersuchung eine Hepatitis B und eine Hepatitis C Diagnostik mitgemacht wird. Diese Vorsorgeuntersuchung macht man ab dem 35. Lebensjahr. Bis es diesen Check gibt, gilt folgendes: Man sollte in sich gehen und sich überlegen, ob man sich vielleicht irgendwann angesteckt haben könnte. Hat man vielleicht eine Bluttransfusion bekommen, einmal Drogen ausprobiert oder hat sich im Ausland bzw. unter unsterilen Bedingungen tätowieren lassen? Hat man eine solche Risikosituation erlebt, sollte man sich testen lassen.

Die WHO erklärte 2016, dass sie Hepatitis bis 2030 ausrotten möchten. Halten Sie das für realistisch?

Prof. Dr. Sarrazin: Das Ziel ist natürlich hochgesteckt und das ist für eine WHO auch richtig und wichtig. Ob wir das wirklich bis 2030 schaffen, will ich mal dahingestellt lassen. Aber wir sollten es als Ansporn nehmen, es zumindest bis 2030 zu versuchen. Und wir sind auf keinem schlechten Weg.

Wie und wo kann ich mich testen lassen, wenn ich einen Verdacht habe?

Prof. Dr. Sarrazin: Beim Hausarzt kann man einen Test auf Hepatitisviren machen lassen.

Welche Ziele verfolgt die Leberhilfe mit dem Welt-Hepatis-Tag?

Prof. Dr. Sarrazin: Wir folgen seit einigen Jahren im Wesentlichen das Ziel: „Find the missing Millions.“ In Deutschland sind es keine Millionen, sondern ein paar hunderttausend. Aber global gesehen sind es viele Millionen. Wenn wir tolle Medikamente haben aber nicht wissen, wer die Erkrankung hat, bringt uns das auch nichts. Deswegen muss das höchste Ziel sein, die unbekannten Patienten zu finden.


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