Welt-Aids-Tag 2020: Dr. med. Michael Doll, Leiter unserer HIV-Ambulanz, im Interview

Montag, 30.11.2020

Das Corona-Virus ist nicht das einzige, das die Gesellschaft in Atem hält. Es gibt ein Virus, das uns seit Anfang der 1980er beschäftigt und bis heute nicht vollständig bekämpft ist: Das Humane Immundefizienz-Virus, kurz HIV. Das Virus und das Krankheitsbild Aids können heute behandelt, aber nicht geheilt werden. Unser Experte Dr. med. Michael Doll leitet die HIV-Ambulanz am JoHo und beantwortet im Interview Fragen rund um das Theme HIV / Aids.

 

  • Wie kam es dazu, dass Sie im letzten Jahr die HIV-Ambulanz am JoHo übernommen haben?

Dr. Doll: Vor einigen Jahren hatte mich Herr Dr. Katz, der langjährige Leiter der HIV Ambulanz am St. Josefs-Hospital Wiesbaden, gefragt, ob ich Interesse hätte, nach seinem Ruhestand die Leitung der HIV-Ambulanz zu übernehmen. Da habe ich sofort Ja gesagt. Immerhin gibt es die HIV Ambulanz am JoHo schon seit 1994 also nunmehr 26 Jahren. Herr Dr. Katz war es auch, der mich vor etwa 8 Jahren an die HIV-Medizin heranführte. Von seinem großen medizinischen Wissen aber auch von seiner Art mit den Menschen umzugehen, profitiere ich heute noch. Um die Zusatzbezeichnung Infektiologie zu erlangen, konnte ich im letzten Jahr in der Abteilung für Infektiologie und HIV der Universitätsklinik Frankfurt mitarbeiten. Diese Zeit hat mich in der Entscheidung meinen Tätigkeitsschwerpunkt auf HIV-Medizin und Infektiologie zu legen nochmals bestärkt. Seit Anfang des Jahres wird unser Team durch Herrn Dr. Tischbirek verstärkt, der für die Ambulanz durch seine langjährige Erfahrung im Bereich HIV für uns eine große Bereicherung darstellt.

  • Woher kommt das Interesse für diesen Bereich?

Dr. Doll: Bereits kurz nach meinem Eintritt in das St. Josefs-Hospital Wiesbaden im Jahr 2010 hat mich mein damaliger Oberarzt Herr Dr. Katz in die HIV-Ambulanz eingeführt und an die Thematik herangeführt. Vorher hatte ich, ehrlich gesagt, mit dem Thema HIV und AIDS nicht viel zu tun. Das hat sich dann in den darauffolgenden Jahren stark verändert. Die Arbeit in der HIV-Ambulanz hat mir von Anfang an viel Spaß bereitet. Mittlerweile steht die HIV Medizin, neben der allgemeinen Infektiologie und der Gastroenterologie, im Zentrum meiner beruflichen Tätigkeit. Mitzuerleben, wie sich die Therapie der HIV-Infektion und auch die Behandlung der damit verbundenen Begleiterkrankungen bis hin zum Endstadium AIDS in den letzten Jahren verändert hat, war und ist wahnsinnig spannend.

  • Was ist das Besondere an der Arbeit in der HIV-Ambulanz?

Dr. Doll: In der HIV-Ambulanz herrscht ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das ich in dieser Form im Krankenhaus noch nie erlebt habe. Das macht die Arbeit schon sehr besonders. Viele der PatientenInnen kenne ich jetzt schon seit vielen Jahren und begleite Sie durch alle Höhen und Tiefen. Häufig schlüpfe ich dann in die Rolle des Hausarztes, was die Arbeit unheimlich abwechslungsreich macht.

  • Begegnen Sie im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit vielen Vorurteilen?

Dr. Doll: In unsere Praxis kommen bis heute Leute vom Land, die sagen: "Das darf dort keiner wissen, dass ich infiziert bin, sonst bin ich meinen Job los". Oder die in Deutschland lebenden afrikanisch-stämmigen Menschen haben aufgrund Ihres kulturellen Hintergrundes häufig Probleme, die HIV-Diagnose in der „community“ bekannt zu machen, da sonst Ausgrenzung droht. Was ich damit sagen will, ist, dass auch heute noch Stigmatisierung stattfindet. Im Umfeld der HIV positiven Menschen hört man Aussagen wie: „Selbst schuld!“, “Die nimmt bestimmt Drogen!“, „Der ist bestimmt schwul!“, Die schläft doch mit jedem!“ All das sind Beispiele für Stigmatisierung, mit denen man auch heute noch konfrontiert werden kann.

  • Welche Vorurteile im Zusammenhang mit HIV ärgern Sie am meisten und welches Vorurteil würden Sie am liebsten aus der Welt schaffen?

Dr. Doll: Dass KollegenInnen im Gesundheitswesen HIV positive Menschen nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen behandeln wollen, höre ich manchmal von Patienten. Praktisch könnte das beispielsweise bedeuten, dass ein HIV infizierter Mensch beim Arzt nur den letzten Termin am Tag bekommt, weil die Praxis danach angeblich besonders gereinigt werden müsse. Oder wenn ein Physiotherapeut Menschen mit HIV nur mit Gummihandschuhen behandelt. Oder wenn ein Patient in einer Reha-Klinik von bestimmten Therapien ausgeschlossen wird, weil ja Verletzungsgefahr bestehen würde. Ich denke, dass das keine Diskriminierung ist, sondern einfach nur Unsicherheit im Umgang mit HIV-infizierten Menschen und deren Behandlung ist. Daher muss es ein Ziel sein, diese Unsicherheit zu nehmen. Genau aus diesem Grund plädieren wir als HIV-Behandler für mehr Aufklärung auch im ärztlichen Bereich. Ziel muss es sein, dass Akzeptanz gegenüber der Krankheit und den Menschen, die davon betroffen sind, geschaffen wird.

  • Was war in Ihren Augen die wichtigste / bedeutendste Entwicklung in Bezug auf HIV/Aids in den letzten Jahren?

Dr. Doll: Mit der modernen HIV-Therapie genügt es in den überwiegenden Fällen eine Tablette am Tag einzunehmen. Früher bestand die Behandlung aus drei bis acht Tabletten pro Tag, was für die HIV-positiven Menschen eine enorme Belastung darstellte. Außerdem sind die Medikamente viel besser verträglich als früher. Dennoch muss man bedenken, dass auch heute noch die Behandlung der HIV-Infektion eine lebenslange Therapie darstellt. Die Aussicht auf Heilung oder eine prophylaktische Impfung gegen HIV sind zwar intensiver Bestandteil der Forschung, aber aktuell noch nicht existent. In naher Zukunft wird es eine Spritzentherapie geben, bei der die tägliche Einnahme von Tabletten durch eine Spritze in die Bauchdecke alle 4-8 Wochen ersetzt wird. Mit Therapie gelingt es fast immer, die Infektion so im Zaum zu halten, dass auch mit den neusten Messmethoden im Labor nur eine minimale Virenmenge nachweisbar ist und der Patient damit als nicht mehr „ansteckend“ gilt. Das ist für viele HIV-positive Menschen eine große Beruhigung. Das finde ich enorm wichtig zu wissen, dass HIV-positive Menschen unter erfolgreicher Therapie niemanden anstecken können, auch nicht beim Sex. Auch bei Kontakt von HIV negativen Menschen mit potentiell infektiösen Materialien, zum Beispiel im beruflichen Kontext kann, wenn man sich gefährdet fühlt, sofort ein Medikament eingenommen und dadurch eine Infektion mit einiger Sicherheit vermieden werden. Man spricht von der sogenannten „HIV-Postexpositionsprophylaxe“ oder „PEP“. Diese Behandlung halten wir auch bei uns im JoHo rund um die Uhr vor. Im Gegensatz zur PEP, die nach Kontakt mit dem HI-Virus eingenommen wird, kann man heute auch Medikamente vor einem HIV-Risiko einnehmen, um die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion für HIV negative Menschen zu reduzieren. Die sogenannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP) stellt aber nur eine von mehreren Präventionsmaßnahmen gegen HIV dar. Genauso wichtig ist beispielsweise die Verwendung von Kondomen. Auch die PrEP können wir nach einem intensiven Vorgespräch in unserer HIV-Ambulanz verordnen. In diesem Zusammenhang sprechen wir dann auch über alle Belange der sexuellen Gesundheit wie zum Beispiel andere sexuell übertragbare Erkrankungen. Die Kosten für die PrEP werden übrigens von der Krankenkasse übernommen.

  • Ist die Bevölkerung aufgeklärter als früher oder wird der Umgang mit HIV wieder sorgloser? Welche Entwicklungen stellen Sie fest?

Dr. Doll: Die Frage ist schwer zu beantworten. Gelegentlich hört man, die jungen Leute interessiert das gar nicht mehr. „Aids, das ist so Achtzigerjahre“. Das war ja auch wirklich was ganz anderes damals. Die KollegenInnen, die diese Zeit miterlebten, berichten von mehreren Toten an einem Wochenende. Gestorben sind die Patienten damals in speziell dafür eingerichteten Hospiz-Stationen. Zu dieser Zeit begannen auch die Aufklärungskampagnen, an die ich mich gut erinnern kann: der Kinofilm Philadelphia, ein Aidstoter in der Lindenstraße, der TV-Spot mit Hella von Sinnen: „Tiiina, watt kosten die Kondome?“ oder die zahlreichen Plakate in der Stadt: „Gib AIDS keine Chance.“ Heute wird man an das Thema HIV beispielsweise durch den Film „ Bohemian Rhapsody“ erinnert, in dem die Lebensgeschichte des Queen-Sängers Freddy Mercury verfilmt wurde.
Die jungen Leute werden heute meines Wissens relativ gut in der Schule aufgeklärt. Meine Nichte und Neffe fangen an zu gähnen, wenn man mit ihnen über Safer Sex spricht. Die wissen mit acht, wozu ein Kondom dient. Was sehr positiv ist. Aber man muss dranbleiben. Es könnte noch besser laufen. Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung....auch wenn es den Leuten aus den Ohren rauskommt. In diesem Kontext finde ich es prima an den Welt-AIDS-Tag am 01. Dezember zu erinnern und dafür auch die Sozialen Medien zu nutzen.

  • Wann ist ein HIV-Test sinnvoll?

Dr. Doll: Es gibt bestimmte Situationen, die mit einem hohen HIV-Ansteckungsrisiko verbunden sind und in denen es wichtig sein kann, einen HIV-Test durchführen zu lassen. Wenn Sie beispielsweise in einer festen Partnerschaft leben und der Wunsch nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr ohne Verwendung von Kondomen besteht, sollten beide Partner vorab klären, ob möglicherweise eine HIV-Infektion vorliegt. Oder wenn Sie sich Kinder wünschen, sollten Sie vor einer oder spätestens während einer Schwangerschaft einen HIV-Test machen. Darüber hinaus gibt es Situationen, die im Zusammenhang mit HIV als Risikokontakte bezeichnet werden. Diese können sowohl beruflich als auch nicht beruflich sein. Ein sicheres Ergebnis liefert ein HIV-Test nach frühestens sechs Wochen. Zuverlässiger ist das Ergebnis drei Monate nach einer möglichen Infektion. Das liegt daran, dass im Körper erst sogenannte Antikörper gebildet werden müssen. Diese Antikörper kann der HIV-Test erkennen.

  • Wie haben sich die Therapien bzw. das Leben mit HIV verändert?

Dr. Doll: In den achtziger und neunziger Jahren hat man HIV und AIDS mit einem Todesurteil gleichgesetzt. Heute ermöglicht es die moderne HIV-Therapie in den meisten Fällen, sein Leben in vielerlei Hinsicht ganz normal weiterzuleben. Voraussetzung ist aber, dass man täglich Medikamente einnimmt. Wir haben in unserer Ambulanz Patienten, die seit über dreißig Jahren HIV positiv und weit über achtzig Jahre alt sind. Die Lebensgeschichten dieser Menschen zu hören ist sehr beeindruckend. Da kann man sozusagen aus erster Hand erfahren, wie sich das Leben mit HIV in den letzten Jahrzehnten verändert und verbessert hat. Aus medizinischer Sicht kann man sich heutzutage die Zeit nehmen, über den Tellerrand der HIV Therapie hinaus zu schauen und sich mit medizinischen Fragestellungen beschäftigen, die allgemeine Gesundheit betreffen, wie zum Beispiel hoher Blutdruck oder Diabetes mellitus.

  • Warum sollte man HIV nicht auf die leichte Schulter nehmen, obwohl sich die Therapie verbessert hat?

Dr. Doll: Die Diagnose „HIV positiv“ ist für fast alle Patienten ein Schock. Dann kommt es darauf an, die richtigen Schritte zu gehen und sich von HIV spezialisierten ÄrztInnen oder von der AIDS-Hilfe mit zuverlässigen Informationen zu versorgen. Nach der Diagnose ist es zunächst wichtig zu wissen, dass man in vielerlei Hinsicht so weiterleben kann wie bisher. Auch die Lebenserwartung von HIV-positiven Menschen ist bei aktiver Mitarbeit nahezu normal. Das liegt an der effektiven HIV-Therapie, die uns heutzutage zur Verfügung steht. Es gibt allerdings auch Lebensumstände, die sich verändern werden. Die bedeutsamste Veränderung ist, dass man täglich Medikamente einnehmen muss. Früher waren das bis zu acht Tabletten am Tag – heute genügt in den meisten Fällen eine Tablette am Tag. Aber diese Pillen sind keine Hustenbonbons. Es können Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen auftreten, auf die man reagieren muss. Damit verbunden sind regelmäßige Arztbesuche.
Als HIV infizierter Mensch muss man sich überlegen, mit wem man über die Infektion sprechen muss, kann und will. Das kann unter Umständen sehr belastend sein. Es ergeben sich viele Unsicherheiten in Bezug auf die berufliche Situation, Sexualität und Schwangerschaft und auch Freizeitaktivitäten wie zum Beispiel Sport. Bei all den Fragen ist wichtig zu wissen: Sie sind nicht allein!
Ich versuche mittlerweile immer zu vermitteln: Wichtig ist keine Angst, aber Respekt vor dem HI-Virus zu haben. Um genau diesen Spagat zu schaffen, braucht es differenzierte Aufklärung.

  • An wen richten sich die Angebote der HIV-Ambulanz am JoHo? Wer kann sich an die Ambulanz wenden?

Dr. Doll: Die HIV-Ambulanz im JoHo bietet eine ambulante Beratung, Diagnostik und Therapie bei HIV-Infektion, nach HIV-Kontakten und bei Risikogruppen. Mit eingeschlossen sind die Behandlungen mit Post- und Preaexpositionsprophylaxe bei HIV-Risikokontakt. Wir können bei all unseren Behandlungen und Therapien auch auf das vollständige Leistungsangebot des St. Josefs-Hospitals als Akutkrankenhaus zurückgreifen, was ein großer Vorteil ist.

  • Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe Wiesbaden?

Dr. Doll: Die Zusammenarbeit mit der AIDS-Hilfe Wiesbaden ist aus meiner Sicht sehr gut und konstruktiv. Mehrmals in der Woche wird unsere Sprechstunde von einem Mitarbeiter der AIDS-Hilfe Wiesbaden begleitet. In dieser Zeit steht der/die MitarbeiterIn für alle Fragen rund um das Thema „Leben mit HIV“ zur Verfügung. Dabei kann es sich unter anderem um Fragen zu Sexualität, Partnerschaft, Schwangerschaft, spezifischen Fragen bei HIV-positiven Frauen, um Hilfestellung in schwierigen Lebenssituationen oder Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund handeln. Dieses Angebot wird von den Patienten sehr geschätzt. Darüber hinaus planen und organisieren wir gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen und beteiligen uns als Team der HIV Ambulanz an den einmal im Monat angebotenen kostenfreien HIV-Testungen.


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Dr. med. Michael Doll, Leiter der HIV-Ambulanz am JoHo

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