Welt-Aids-Tag 2021: Dr. med. Michael Doll, Leiter der HIV-Ambulanz, über die Rivalität der Pandemien

Mittwoch, 01.12.2021

Es ist Welt-Aids-Tag – Anlass genug, um über das HI-Virus gründlicher nachzudenken, denn ein andres Virus, das Coronavirus, hält die Welt in Atem und drängt andere Gesundheitsrisiken an den Rand. Wir befinden uns mitten in der vierten Welle. Über 263 Millionen Coronainfizierte wurden bis heute weltweit gezählt. Bei HIV sind es insgesamt ca. 77 Millionen Infizierte seit Anfang der 1980er Jahre. Rund 400 Infizierte betreuen Dr. Michael Doll (rechts im Bild) und Dr. Klaus Tischbirek (links im Bild) in unserer HIV-Ambulanz.

Während es bei Corona über 240 Millionen Genese gibt, sieht das bei HIV anders aus. Das HI-Virus verbleibt lebenslang im Körper, kann aber mit modernen Medikamenten erfolgreich unterdrückt werden. Durch HIV sind weltweit seit Beginn der 1980er Jahre ca. 35 Millionen Menschen gestorben, bei Corona sind es bislang ca. 5 Millionen.

Es gibt zwar zugelassene Therapieoptionen für eine akute COVID-19-Erkrankung und Impfstoffe zur Prophylaxe, aber so leicht lässt sich das Virus dennoch nicht abschütteln. Wir mussten lernen, dass der Impfschutz nicht ewig anhält und einer Auffrischung bedarf. Wie lang der Impfschutz anhält, ist noch unklar. Zeitgleich versuchen Gesundheitsbehörden, Krankenhäuser und Politik die vierte Welle durch Schutzmaßnahmen unter Kontrolle zu halten. HIV hingegen hat sich in den letzten Jahren von einer globalen Bedrohung zu einer beherrschbaren chronischen Erkrankung entwickelt, zumindest in Ländern mit hoch entwickelten Gesundheitssystemen.

Während der ersten Coronawelle haben wir gesehen, dass wir nicht alle Energie ausschließlich in die Erforschung von COVID-19 investieren dürfen. Plötzlich waren bestimme HIV-Medikamente nicht mehr verfügbar oder Lieferzeiten sehr lang. Dieses Problem bestand nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, so verkündet durch die WHO am Rande der Welt-AIDS-Konferenz im Juli 2020. Davon waren vor allem Lieferketten aus China oder Indien betroffen. Das hat viele Patient*innen sehr verunsichert, sodass diese sich zum Teil Medikamentenvorräte und -reserven angelegt haben, um ihre tägliche Tabletteneinnahme sicherzustellen.

Ein anderes Phänomen beobachteten wir in den Kliniken zu den Höhepunkten der Coronawellen – es zeigte sich plötzlich ein deutlicher Rückgang bei z.B. Schlaganfällen, Herzinfarkten oder Tumorerkrankungen. Die Menschen haben selbst bei ernsthaften und potenziell lebensgefährlichen Erkrankungen auf Krankenhausbesuche verzichtet, aus Angst vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2.

Sowohl bei HIV als auch Sars-CoV-2 handelt es sich um Viren, die sich weltweit schnell ausgebreitet haben, auch wenn sie auf unterschiedliche Arten übertragen werden. Beide Viren sind vom Tierreich als Zoonosen auf den Menschen übergegangen. Beide Erreger haben bei den Menschen Angst ausgelöst und zu einer Stigmatisierung betroffener Patient*innen geführt. HIV-Infizierte Menschen sind von dieser Stigmatisierung allerdings sehr viel stärker betroffen. Diesem Umstand sollte mit einer stetigen Aufklärung begegnet werden. Für eine solche Aufklärung setzt sich auch der Leiter unserer HIV-Ambulanz, Dr. Michael Doll, sehr stark ein.

Patient*innen, die eine moderne antiretrovirale HIV-Therapie erhalten, haben normalerweise kein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf. Anders sieht es bei HIV-Patient*innen aus, die nicht oder noch nicht behandelt sind und daher eine Immunschwäche aufweisen. Sie zählen zur Risikogruppe. Ein höheres Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung haben generell Menschen mit Übergewicht, Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und Diabetes mellitus sowie Patient*innen ab 60 Jahren.

Gegen HIV gibt es auch nach 40 Jahren noch keine Impfung. Auch der letzte Versuch vor ca. 2 Jahren eine HIV-Impfstoff zu entwickeln, ist leider gescheitert. Das liegt unter anderem daran, dass das HI-Virus sehr variabel ist und es sich im Laufe der Zeit ständig verändert hat. Damit ist der Angriffspunkt für eine Schutzimpfung extrem schwer zu finden. Dennoch gibt es bei HIV effektive Therapien, die ein normales Leben ermöglichen und eine Virusübertragung verhindern. Mittlerweile gibt es zum Glück auch eine effektive Präexpositionsprophylaxe (PrEP), die die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion um bis zu 95 Prozent reduziert. Gegen Sars-CoV-2 gibt es mittlerweile eine sehr sichere und effektive Impfung, die vor schweren Verläufen schützt. Das eine Impfung so gut schützt, ist keinesfalls selbstverständlich.

Auf beide Viren haben die Menschen verständlicherweise mit Angst reagiert. Es liegt in der Natur des Menschen, sich von Kranken fernzuhalten, um sich selbst zu schützen. Manche mit COVID-19 Infizierte haben nun wie HIV-positive Menschen erlebt, dass sich ein Großteil des sozialen Umfelds von ihnen abgewendet hat. Dabei heilt COVID-19 aus und bringt danach eine gewisse Immunität mit sich. Interessant war es für Dr. Michael Doll in der HIV-Ambulanz zu erleben, wie HIV-positive Menschen auf die Anfänge der Corona-Pandemie reagiert haben. Hier hörte er beispielsweise Aussagen wie: „Wenn ich HIV und AIDS überlebt habe, dann kann mir auch Corona nichts anhaben." Das sind natürlich zwei verschiedene Dinge. Das musste unser Oberarzt und Leiter der Ambulanz den Patient*innen vermitteln.

Sowohl bei AIDS als auch COVID-19 gibt es Bestrebungen, Risikogruppen zu isolieren, da man Angst vor Übertragung hat. Bei HIV-Infizierten sind fast alle Patienten*innen, die Ihre Medikamente regelmäßig einnehmen, nicht infektiös. Sehr viele Forschungskapazitäten werden und wurden derzeit zu COVID-19 umgelenkt. Das gilt für pharmazeutische Unternehmen und Organisationen, die vorher zu HIV geforscht haben, wie auch für Krankenhäuser und Universitäten. Darunter leidet in gewissem Maße nicht nur die HIV-Forschung, sondern generell die Erforschung unzähliger anderer schwerer Erkrankungen. Das hat aber auch viele positive Aspekte. Zum einen gibt es eine effektive Impfung, die in Rekordzeit entwickelt wurde, zum anderen gibt es bereits effektive Therapien in der Akutbehandlung von COVID-19. Ähnlich wie bei HIV gibt es auch bei Sars-CoV-2 eine Expositionsprophylaxe, bei der man bestimmte Antikörper einsetzt, die aus dem Blut Genesener gewonnen werden.

Dr. Michael Doll ist sich sicher, dass noch weitere Therapieoptionen folgen werden: "Im Grunde haben beide Pandemien voneinander profitiert. Die Impftstoffentwicklung und die Akuttherapien für Sars-CoV-2 wären teilweise ohne die HIV-Forschung in den letzten Jahrzehnten nicht so schnell möglich gewesen. Und auch bei HIV ist das Thema Impfung wieder in Schwung gekommen. Wir müssen realistisch bleiben: Beide Pandemien werden uns weiterhin beschäftigen. Von einem normalen Leben wie vor COVID-19 sind wir noch weit entfernt und werden diesem Ziel erst wieder nahekommen, wenn ein Großteil der Bevölkerung Immunität gegenüber Sars-CoV-2 erworben hat – idealerweise durch eine sichere und effektive Impfung und nicht durch eine Infektion!"


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