Erfahrung trifft Innovation

Die Schulter ist ein Gelenk, das ständig in Bewegung und oft stark belastet ist. Sie unterliegt dem Verschleiß und das kann richtig wehtun. Manchmal hilft nur ein neues, künstliches Schultergelenk. Dr. Michael Schneider, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden, leitet das dortige Referenzzentrum Schulterendoprothetik und erklärt, was Patientinnen und Patienten im Fall eines notwendigen Gelenkersatzes beachten sollten.

"Herr Dr. Schneider, wie häufig werden künstliche Schultergelenke in Deutschland implantiert?"

2021 waren es knapp 25.000. In den letzten zwei Jahrzehnten erlebten wir beinahe eine Verzehnfachung der Schulterimplantationen. Und es ist damit zu rechnen, dass die Schulterendoprothetik auch in den nächsten 20 Jahren die höchsten Steigerungsraten innerhalb der „Kunstgelenkchirurgie“ aufweisen wird.

"Und wer bekommt diese Implantate eingesetzt?"

In 75 Prozent der Fälle sind es Frauen. Typische Indikationen sind Frakturen des Oberarmkopfes bei Patienten*innen ab 70 Jahren. Auch ein chronischer Verschleiß der Rotatorenmanschette und die klassische Arthrose machen den Eingriff oft erforderlich. Seltener geworden sind Implantationen aufgrund schwerwiegender rheumatischer Erkrankungen, da die medikamentöse Therapie sich in diesem Bereich stark verbessert hat.

"Ist das Einbringen eines künstlichen Schultergelenks nicht viel schwieriger als beispielsweise die Operation eines künstlichen Hüft- oder Kniegelenks?"

Wie bei jeder Operation ist das Behandlungsergebnis maßgeblich eine Frage der Erfahrung. Es empfiehlt sich, eine Klinik auszusuchen, die diese Operation sehr regelmäßig durchführt.Studien aus den USA konnten nachweisen, dass die Komplikationsrate sinkt, wenn die Operateure*innen jährlich mindestens 20 solcher Eingriffe durchführen – jede*r einzelne wohlgemerkt. Und dahinter sollte immer ein erfahrenes Team stehen.

"Also ein Fall für Spezialisten?"

Absolut. Dann stimmt auch die Ergebnisqualität. Aktuelle Daten aus dem Australischen Endoprothesenregister von 2022 haben nachweisen können, dass 90 Prozent aller Patienten*innen mit ihrem künstlichen Schultergelenk zufrieden oder sehr zufrieden sind. Dies ist vergleichbar mit den Ergebnissen für Hüft- und Kniegelenksimplantationen.

Viele unserer Patienten*innen sagen nach der OP, dass sie den Eingriff schon viel früher hätten machen sollen, da sie oft schon jahrelange Beschwerden hatten.“

"Wie lange hält ein künstliches Schultergelenk?"

Die internationalen Register belegen, dass 90 bis 95 Prozent der Implantate auch nach zehn Jahren in Ordnung sind. Wie langlebig das Implantat ist, hängt maßgeblich vom verwendeten Prothesentyp ab.

"Und welches Implantat ist wann das richtige?"

Eine anatomische Prothese sollte man nur einsetzen, wenn die umgreifende Muskulatur, die sogenannte Rotatorenmanschette, noch intakt ist. Heutzutage werden zunehmend schaftlose Implantate verwendet, die sehr gute funktionelle Ergebnisse aufweisen. Diese werden vorwiegend bei jüngeren Patienten*innen eingesetzt.

Im Laufe des Lebens kann sich allerdings der Zustand der Rotatorenmanschette verschlechtern. Dann muss man oft auf eine sogenannte inverse (umgedrehte) Prothese wechseln.

"Was ist eine „inverse“ Prothese?"

Sie ist gleichsam die Antwort darauf, dass die klassischen Prothesen versagen, wenn die Rotatorenmanschette nicht mehr funktioniert. Es dauerte bis Ende der 1980er Jahre bis diese Alternative zur Verfügung stand: Dank eines geänderten Designs der Gelenkpartner. Die von Natur aus flache Schulterpfanne wird in eine halbkugelförmige (konvexe) Pfanne gewechselt. Der runde Oberarmkopf wird in ein schalenförmiges (konkaves) Design verändert.

Das Drehzentrum der Schulter wird nach weiter unten und zur Körpermitte hin verschoben. Dadurch wird der Oberkappenmuskel (Deltamuskel) viel früher angesteuert und kann den Arm anheben, auch wenn die Rotatorenmanschette nicht mehr richtig vorhanden ist. Der Patient erhält somit ein wirklich neues Gelenk, das anders funktioniert als sein eigenes Gelenk.

Mit diesem mechanischen Trick, hat man die Operation eines künstlichen Schultergelenks revolutioniert und man kann heute Patienten*innen helfen, für die es früher keine zufriedenstellenden Möglichkeiten gab.“

"Wie häufig ist heutzutage der Einbau einer „inversen“ Prothese?"

In den meisten Ländern werden inzwischen 80 Prozent aller Operationen mit einer inversen Prothese durchgeführt. Ungeachtet dessen sollte man immer eine anatomische Lösung suchen, wenn dies aufgrund von Alter, Grunderkrankung und dem Zustand der Rotatorenmanschette möglich ist.

"Spielen High-Tec-Verfahren auch beim Schulterersatz eine Rolle?"

Technische Innovationen sind in allen Bereichen der Chirurgie ein Thema. Die 3D-Planung bei geplanten Eingriffen ist inzwischen in vielen Kliniken Standard, auch bei uns. Anhand einer vor der Operation durchgeführten Computertomografie (CT) planen wir die Implantate hinsichtlich der geeigneten Größe und optimalen Position.

Eine weitere Verbesserung sind Implantate, die es ermöglichen, Defekte auszugleichen. An der Schulterpfanne beispielsweise sieht man häufig Begleitdefekte, die sich mit eigenem Knochenmaterial, das bei der OP entnommen wird, oder mit metallischen Augmenten beheben lassen.

Auch Virtual Reality schafft neue Möglichkeiten, die wir seit diesem Jahr erfolgreich nutzen. Damit gelingt es, Implantate extrem präzise zu platzieren. Die vor der OP gewonnen Daten werden mit einer Navigation während der OP abgeglichen. Zusätzlich können spezifische, sterile Instrumente aus dem 3D-Drucker zur Verfügung gestellt werden. Durch diese Techniken und die VR-Brille hat man einen Blick in den Patienten, den Operateure*innen so vorher noch nie hatten. Wir sind ganz begeistert davon. Leider sind diese Verfahren bisher keine Kassenleistung, ebenso wie die Anfertigung eines individuell gefertigten Implantats. Die Mehrkosten verbleiben daher häufig bei der Klinik.

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